«Der letzte Drache»
die acht Episoden

Vor mehr als 13000 Jahren erschienen die ersten Menschen in Graubünden. Seither werden sie beobachtet – von Drachen. Eines dieser Wesen erzählt, wie es seinesgleichen und wie es den Menschen in dieser langen Zeit ergangen ist. Und Zeit zu erzählen hat er genug, der einst so gefürchtete Drache vom Schwarzhorn. Vor mehr als 200 Jahren wurde er in eine Höhle verbannt, hier wartet er immer noch auf seine Erlösung.

1796 will der Drache vom Schwarzhorn seinem Vetter, dem Drachen von Macun, einen Besuch im Engadin abstatten. Er betrachtet den Zehngerichtebund aus der Drachenperspektive, gelangt in den Gotteshausbund und stellt hier mit Bedauern fest, dass es keine «Macuns» mehr gibt, keine Steinböcke. Der Drache ahnt nicht, dass dies sein letzter Flug vor der Verbannung ist.

Im Sertig, dem malerischen Seitental von Davos, erzählt man sich bis heute die Sage vom Drachen vom Schwarzhorn. Dieses geflügelte Ungeheuer habe einst das Vieh geraubt und sei deshalb in eine Höhle verbannt worden. Der Drache selbst hörte die Sage etliche Male. Jetzt erinnert er sich, dass ihn schon sein Grossonkel, ein Drache im Gebiet des Grauen Bunds, vor den Menschen gewarnt hatte.

Seine Schwierigkeiten mit den Menschen hatte der Drache vom Schwarzhorn schon lange vor der Verbannung: 1499 wollte er ein geheimnisvolles Blumenmeer im Prättigau aufsuchen, geriet aber in die Wirren des Schwabenkriegs. In der Val Müstair begegnete er darauf einem legendären Bündner Freiheitshelden: Benedikt Fontana.

Der Drache hört die Stimmen jener Menschen, die vor Jahrhunderten drei Bünde gründeten: den Gotteshausbund (1367), den Grauen oder Oberen Bund (1395) und den Zehngerichtebund (1436). Der Drache hört aber noch mehr: wie 1524 der gemeinsame Bundsbrief dieser Drei Bünde mit Tinte auf Pergament geschrieben wurde. Dies war der eigentliche Beginn des Freistaats der Drei Bünde.

Im Freistaat der Drei Bünde gibt es mehr Wesen als nur Mensch und Tier. Der Drache vom Schwarzhorn erzählt von diesen Wesen: von den Wildmannli im Prättigau, den Dialen im Münstertal, dem Nachtvolk im Schanfigg, dem wütenden Heer im Oberland, den Geistern im Engadin oder den Riesen im Puschlav.

Im Freistaat der Drei Bünde gibt es sonderbare Wesen wie Wildmannli und Dialen. Am sonderbarsten erscheinen dem Drachen aber die Menschen. Und so widersprüchlich wie die Menschen empfindet der Drachen den Freistaat der Drei Bünde. Seine Nachforschungen, das Wesen der Menschen und das Wesen des Staates zu ergründen, scheitern.

Der Drache vom Schwarzhorn erlebt den Niedergang des Freistaats von seiner Höhle aus. Er hört, wie der Staat zu wanken beginnt, wie Soldaten ins Land einmarschieren. Noch einmal entwirft er ein Bild des Freistaats – bevor er erläutert, wie man den Bann brechen kann, der ihn, den Drachen vom Schwarzhorn, in dieser Höhle gefangen hält.